Am 20.06.2016 wurde das Thema „Start-ups: Strohfeuer oder nachhaltiger Schwung für die digitale Wirtschaft?“ im Rahmen des Formats Digital Talk der IHK Köln diskutiert. Diese Frage erkundet Richard Gutjahr mit Prof. Tobias Kollmann, Thomas Bachem (CODE.university), Kanika Kaltenberg (Zuckerzahn) und Christoph Baier (Ambi-Vation) beim Digital Talk 06 von Digital Cologne. Zu Beginn klärt Prof. Tobias Kollmann (der digitale Lehrmeister) die Zuhörer über die Bedeutung von Startups auf, die zum zukünftigen Mittelstand erwachsen.
Zum Video (70:29): https://www.youtube.com/watch?v=9gWbMadIG7g
Zur Zusammenfassung (8:17): https://www.youtube.com/watch?v=Bf4XAaWIQIQ
Richard Gutjahr: Klären Sie uns auf, was ist eigentlich die genaue Definition von einem Startup? Was macht ein Startup zu einem Startup?
Prof. Tobias Kollmann: Es gibt in der Literatur etwa 80 verschiedene Definitionen von Startups und ehrlich gesagt ist es mir egal welche wir davon nehmen, Hauptsache es gibt ausreichend davon. Denn wir haben Sie dringend notwendig. Und ob sie nur 5 Jahre oder noch 10 Jahre alt sein dürfen, ob sie in innovativen Branchen unterwegs sind oder nicht, ob es Teamgründungen sind oder nicht, das ist alles irrelevant. Hauptsache es gibt sie. Natürlich ist das Thema Startups wichtig, denn da werden die neuen Arbeitsplätze von morgen geschaffen. Und hoffentlich ist Startup ein temporäres Phänomen, denn sie sollen wachsen und irgendwann einmal zum Mittelstand werden. Auf der anderen Seite hoffentlich aber keine Modeerscheinung, denn es soll möglichst viele geben und das auch in der Zukunft, weil sich daraus eine wesentliche Stütze für unsere Zukunft ergeben wird.
Richard Gutjahr: Tobias, Du hast einen Auftrag, nicht nur an der Uni sondern tatsächlich auch für die Landesregierung. Was genau machst Du und erzähle uns ein bisschen von deiner Arbeit und deinem Wirken.
Prof. Tobias Kollmann: Ich habe die große Ehre mehrere Hüte aufzuhaben. Ich bin Professor an der Universität Duisburg-Essen und versuche meinen Studenten Gründungswissen und die Startup-Entwicklung in der digitalen Wirtschaft beizubringen und auf der anderen Seite bin ich auch Beauftragter für die digitale Wirtschaft im Land Nordrhein-Westfalen und habe dort eine Stabsstelle beim Wirtschaftsminister Garrelt Duin, der sich das Thema nicht nur auf die Fahne geschrieben hat, sondern auch das Thema sehr positiv nach vorne treibt. Er hat mir die Chance gegeben zusammen mit einem Beirat aus der Praxis, nicht noch eine weitere Agenda aufzubauen, denn die brauchen wir nicht, sondern einen konkreten Maßnahmenkatalog zu entwickeln. Da haben wir in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Aspekten auf den Weg gebracht und heute war wieder eine dieser Sitzungen. Im Moment stehen insbesondere unsere DWNRW-Hubs im Fokus, unsere Plattformen für die Entwicklung von Startups auf der einen Seite, aber auch das Zusammenbringen mit Mittelstand und Industrie auf der anderen Seite.
https://www.ptj.de/dwnrw-hubs
Richard Gutjahr: Ihr habt fünf Hubs ausgerufen, die sollen das Wissen ballen und weitergeben. Jetzt denkt man im Internet ist alles dezentral, man kann aus einem Coworkingspace in Berlin/Hamburg das ganze Land oder die ganze Welt bespielen. Warum ist dennoch so wichtig regional präsent zu sein?
Prof. Tobias Kollmann: Weil erstens ist NRW ein Flächenland, wir sind nicht nur eine Stadt, sondern in der Fläche verteilt. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Startups, sondern gerade in Bezug auf den Mittelstand und die Industrie. Wenn wir wirklich unsere Strategie des Zusammenbringens von Startups, Mittelstand und Industrie in den Fokus stellen, dann müssen wir auch dorthin wo diese sind. Deswegen haben wir den verteilten Ansatz und nicht nur einen Ansatz und wir holen die Menschen dort ab wo sie sind. Das ist eben gerade beim Mittelstand eine reale Komponente, weil sie noch nicht so digital sind. 70% aller Mittelständler haben noch keine digitale Strategie, also müssen wir sie abholen und das machen wir durch die verteilte Hub-Struktur, die aber übergeordnet miteinander verknüpft ist. Das heißt ein Startup aus Aachen wird genauso gut mit einem Mittelständler in Ostwestfalen zusammenarbeiten können, genauso wie ein Industrieunternehmen aus Bielefeld mit einem Startup aus Köln zusammenarbeiten kann, weil sie über den Hub organisiert werden. Das ist unser besonderer Ansatz, wir wollen nicht noch einmal einen zusätzlichen Coworkingspace aufmachen, sondern eine konkrete Drehscheibe für die Vermittlung von Projekten. Also der Business-Gedanke ist im Vordergrund, wir wollen die, die da sind zusammenbringen, damit sie gemeinsam digitale Umsätze erwirtschaften. Das ist unser Ziel.
Richard Gutjahr: Das ist wahrscheinlich auch der Unterschied zwischen uns in Deutschland und dem Silicon Valley, die können auf der grünen Wiese gründen, wir aber haben schon bestehende Industrien und müssen sehen, dass wir die Vorort auch ausrüsten?
Prof. Tobias Kollmann: Ja, es gibt den tollen Leitspruch, dass wir die erste Halbzeit verloren haben insbesondere im Bereich B2C. Die zweite Hälfte könnte sich insbesondere um den B2B Bereich drehen, und da haben wir etwas das wir vorzeigen können. Und wenn es uns gelingt, die digitalen Startups auf der einen Seite mit ihren Innovationen mit unserer klassischen etablierten Wirtschaft zusammenzubringen, die noch den Zugang zu den Märkten haben, dann könnte daraus ein Schuh werden für die zweite Halbzeit. Und das ist ein Weg, den wir in NRW gehen wollen. Womit ich kein Startup das im B2C Bereich ist ausgrenze, weil wenn man sich die Gedankenkette ansieht B2B2C, dann haben wir durchgehende digitale Wertschöpfungsketten die wir auch bedienen können. Aber unsere Aufgabe in NRW ist vielleicht im Gegensatz zu den hippen Standorten, diese bodenständige, digitale Arbeit, dass wir unseren Mittelstand und Industrie mitnehmen wollen.
Richard Gutjahr: Google, Facebook und Co. werden wir wahrscheinlich nicht mehr einholen, aber wir können in der Vernetzung der Industrie, Stichwort Industrie 4.0 wahrscheinlich noch das Ruder rumreisen?
Prof. Tobias Kollmann: Ja, und das ist nicht nur eine Frage von Industrie 4.0 und damit mehr IT im Unternehmen, sondern auch das Zusammenbringen der Plattformen und der verschiedenen Protagonisten für digitale Geschäftsmodelle. Nur wenn wir im Netz im Frontend die Plattform aufbauen, über welche die Nachfrage generiert wird, die dann auch vom Mittelstand und Industrie abgearbeitet werden können, nur dann haben wir eine Chance. Wir dürfen uns dort nicht nur darauf zurückziehen, dass wir in Zukunft vielleicht nur die realen Weltmarktführer haben. Sondern wir brauchen diese auch im digitalen Bereich. Da gibt es eine These die besagt, der nächste digitale Weltmarktführer aus Deutschland wird ein Realer sein, wenn es ihm gelingt zu Digitalisieren. Die Startup werden hoffentlich dabei helfen.
Richard Gutjahr: Wir haben gerade gehört 70% der Mittelständler haben noch gar keine digitale Strategie, woran liegt das?
Prof. Tobias Kollmann: Das liegt daran, dass noch nicht das Know-how und die Kompetenz da ist, dass die Erkenntnisse darüber was im Netz passiert und die Möglichkeiten von den Lenkern und Denkern erkannt wurden.
Richard Gutjahr: Geht es uns noch zu gut?
Prof. Tobias Kollmann: Das auch. Es ist vor allem Dingen, dass sie merken, wie langsam ein paar Umsätze verloren gehen. Ich mache das immer an einem Bild klar, unsere Industriekapitäne stehen auf dem Deck der realen Titanic und prosten sich zu, dabei ist der digitale Eisberg schon längst in Sicht. Und es gibt heute schon die Prognose, dass Deutschland aus den Top10 der Wirtschaftsnationen herausfallen wird, wenn es uns nicht gelingen wird das Thema Digitalisierung gerade für Mittelstand und Industrie in Angriff zu nehmen. Ich glaube, dass die Startups dort eine wesentliche Rolle spielen, denn sie machen Druck auf der einen Seite, sind aber gleichzeitig Helfer für die etablierte Industrie die noch nicht genau weiß wie es funktioniert. Und wenn man daraus einen gemeinsamen Schuh macht, dann haben wir ein Alleinstellungsmerkmal und einen echten Wettbewerbsvorteil für Deutschland in der Zukunft.
Richard Gutjahr: Kann man sich da nicht einfach entspannt zurücklehnen und sagen, wenn der Senior seine Firma vererbt, dann passiert das automatisch?
Prof. Tobias Kollmann: Ich glaube, dass das keine gute Möglichkeit ist einfach abzuwarten. Nach dem Motto die nächste Generation wird es schon richten. Das muss jetzt gemacht werden, weil dieser Bereich sich so schnell dreht. Die durchschnittliche Reaktionszeit auf diese disruptiven digitalen Herausforderungen beträgt zwei Jahre. In zwei Jahren haben Internetstartups schon so unglaublich viel bewegt, man denkt nur an Airbnb, Snapchat und wie sie alle heißen. Deswegen können wir nicht einfach warten bis ein Generationenwechsel in 5-10 Jahren stattfindet, wir müssen uns heute damit befassen. Deswegen müssen auch die entsprechenden Geschäftsführer oder Vorstände oder Inhaber von Familienunternehmen heute mit der Thematik befassen.
Richard Gutjahr: Was kann konkret getan werden um diesen Prozess zu beschleunigen, was empfiehlst Du dem Wirtschaftsminister gerade hier in NRW?
Prof. Tobias Kollmann: Mit der Initiative der digitalen Wirtschaft in NRW haben wir schon eine Menge erreicht. Wir haben das Thema in die Köpfe reinbekommen und haben kein Erkenntnisproblem mehr sondern ein Umsetzungproblem und dafür sollen gerade die digitalen Hubs einen wesentlichen Meilenstein darstellen. Wir sehen aber auch im Rahmen unserer anderen Maßnahmen, Frühfinanzierungsprogramme für Startups, das Hinführen auf Messeveranstaltungen für Startups, damit sie national und international bekannt werden. Wir haben ein großes umfangreiches Networkingprogramm, bei dem sich Netzwerke aus der Region bewerben können um gefördert zu werden und dieses Thema noch stärker in die Region zu bringen. Wir haben das Thema Kommunikation und Event, hier werden wir noch in diesem Jahr einen DWNRW Summit in Essen ausrichten, und auf uns aufmerksam machen. Wenn man das alles zusammennimmt mit den nächsten Ideen, dann verpassen wir dem Land ein digitales Update, das noch nicht am Ende ist aber schon mal losgelaufen ist. Das wird noch eine Zeit dauern, das geht nicht von heute auf morgen, aber wir haben angefangen und damit sind wir weiter als viele andere Bundesländer.
Richard Gutjahr: Vor 15, 16 Jahren ging es los, erstes Unternehmen gegründet, verkauft und dann wieder und wieder. Wird dir da nicht langweilig?
Thomas Bachem: Ne, gerade deshalb nicht.
Richard Gutjahr: Ist das eine Sucht, die einen packt? Ich muss gründen, ich habe es einmal geschafft, schauen ob wir es noch einmal packen?
Thomas Bachem: Ja, das kann man so sagen. Natürlich geht es da auch sehr viel um die Ziele die man sich selbst steckt, auch viel um Anerkennung. Gerade in der Internetbranche, in der ich mich bewege, ist soviel in Bewegung, dass man ständig neue Impulse, neue Ideen bekommt und auch neue Themen bewegen will. Ich mach das jetzt seit knapp zehn Jahren, also ich hab mit knapp 19 Jahren aktiver angefangen Startups zu machen, und es kommt mir oft vor wie eine Ewigkeit, weil es so viele verschiedene Stationen waren.
Richard Gutjahr: Was macht für dich den Reiz aus? Wie geht es bei dir los, Du hast eine Idee und dann?
Thomas Bachem: Das ist das was am allermeisten Spaß macht, gerade am Anfang. Ich finde es unglaublich faszinierend, sich zu trauen, in einen Markt reinzugehen. Ich habe mir immer ganz bewusst neue Märkte ausgesucht, zwar Internet-fokussiert, aber da gibt es auch verschiedene Schwerpunkte. Ich schaue mir jetzt erst mal blauäugig an, was die anderen so machen und stelle das mal in Frage. Man sagt auch ganz oft, alle sagten es geht nicht. Dann kam einer der wusste das nicht und hat es einfach gemacht. Und so fühlt sich das manchmal an. Man muss, man darf kein Experte sein um Dinge zu ändern. Da gehe ich vor allem mit ganz vielen Gesprächen ran, deswegen habe ich über die Jahre meine Leidenschaft dafür entdeckt, mit Leuten zu sprechen, zu Netzwerken und den Austausch mit anderen zu suchen und dann kommt Stück für Stück die Erkenntnis und irgendwann nach einem halben Jahr lacht man darüber wie unwissend man vor einem halben Jahr war.
Richard Gutjahr: Also ein Stück Naivität kann sogar nützlich sein, wenn man anfängt sich durchzuboxen, wo andere gesagt haben das geht es nicht?
Thomas Bachem: Absolut, und ich meine alle großen Internetunternehmen sind so entstanden. Da stand nicht der Plan ich baue das Facebook, den Multi-Milliardenkonzern. Das fängt mit kleinen Ideen an, ich mach da mal so ein Projekt und daraus erwächst so etwas.
Richard Gutjahr: Was haben klassische Unternehmer noch nicht gecheckt? Wie heutzutage das Netz funktioniert? Wo sind die größten Hemmnisse, wo stößt Du auf Bedenken? Das mag für dich funktionieren, ist aber für uns nichts?
Thomas Bachem: Das ist eine gute Frage. Ich spreche viel mit großen Unternehmen, aber ich tue mich da immer sehr schwer. Was ich ganz oft höre, wie Tobias schon sagte, dass die Erkenntnis schon da ist, aber nicht das Wissen der genauen Möglichkeiten und der Umsetzung. Immer öfter höre ich den Spruch, mir ist das alles klar, aber ich habe da einen Haufen 50-jähriger Mitarbeiter die seit Ewigkeiten für unser Unternehmen arbeiten und die kriege ich da so schwer darauf umgepolt. Und wie kann ich das schaffen? Das natürlich eine Frage, da bin ich der falsche Adressat. Weil ich selbst noch nicht vor dieser Herausforderung stand. Ich hatte das Glück, oft mit jungen unbefleckten Blättern arbeiten zu können und sehe das als ganz besondere Herausforderung, bei der ich auch noch etwas Ratlos bin.
Richard Gutjahr: Die sprechen zwei unterschiedliche Sprachen scheint mir. Wie kann es denn einer Regierung auch gelingen, da für eine Durchmischung zu sorgen?
Prof. Tobias Kollmann: Der Regierung erst mal selbst überhaupt nicht, sondern wir haben diese Hub-Struktur aufgebaut, damit ein Management Vorort das tun kann. Da muss das Management natürlich auch die Kompetenz zu haben. Das heißt, es muss auf der einen Seite die Sprache von Mittelstand und Industrie sprechen, und auf der anderen Seite hip genug sein, damit die Startups auch zum Zug kommen. Das ist das entscheidende, dass wir immer wieder versuchen diese Schnittstellen zu schaffen, und immer wieder darauf hinweisen, dass das kein Voodoo ist, kein Mysterium, sondern durchaus mit Kompetenz erlernbar ist und auch mit Weiterbildung seitens der Mitarbeiter angegangen werden kann. Auf der anderen Seite auch durch junges frisches Blut, das durch Startups hineingetragen wird in einer Kooperation und das Vertrauen, dass man es einfach mal macht. Das ist etwas das wir hier versuchen zu initiieren, und aus unserer Rolle heraus, ein Motor zu sein für den Prozess, dass diese Seiten eben auch zusammenfinden.
Richard Gutjahr: Du engagierst dich im Bereich coding, Du möchtest, dass die Leute coding lernen? Wieso? Gibt es da nicht genug oder sind es die falschen? Warum liegt dir das so am Herzen?
Thomas Bachem: Beides, es gibt nicht genug und es sind teilweise die Falschen. Warum mir das so am Herzen liegt ist meiner Lebensgeschichte geschuldet. Ich bin seit meiner ganz frühen Jugend autodidaktischer Softwareentwickler, ich weiß gar nicht mehr genau wie es dazu kam. Irgendwann hat es mich fasziniert, nicht nur den Computer zu benutzen, sondern auch selbst Software erstellen zu wollen. Habe mir das angeeignet, am Anfang durch Bücher später mit dem Internet selbst und so sind auch sehr viele der Softwareentwickler die wir beschäftigen und die heute in Startups arbeiten, sie sind Autodidakten. Also Studien sagen, sogar die große Mehrheit sind Autodidakten. Als es für mich dann darum ging nach der Schule ob ich studiere und was ich studiere, hat mich damals das klassische naheliegende Informatikstudium sehr abgeschreckt, weil es doch sehr theoretischer Natur ist, sehr grundlagenbasiert, sehr mathematisch. Ich sage manchmal es ist eher angewandte Mathematik. Und das hatte gar nicht soviel mit dem zu tun, was ich kannte. Softwareentwicklung ist für mich, ein kreativer Schöpfungsprozess, auch viel Teamarbeit und das kam so nie rüber. Ich selbst habe dann BWL studiert, habe mich aber immer gefragt, das kann doch nicht sein. Warum gibt es da nichts? Das ist jetzt 11 Jahre her. Man merkt international tut sich sehr viel, Coding Education muss viel praxisnäher sein und ergänzend zu einem Informatikstudium separat gelehrt werden muss. Ich möchte das auf Hochschulebene bringen und eine private Hochschule gründen.
Richard Gutjahr: Das ist die CODE.university. Ab wann macht es Sinn, Kinder damit in Berührung zu bringen? Und wir sollten über das Thema Geschlechterverteilung sprechen, auch da gibt es viel aufzuholen.
Thomas Bachem: Ich sagte eben es gibt zu wenige, das ist einfach zu verstehen und teilweise die Falschen. Bzw. nicht die Falschen, sondern ich glaube wir können noch ganz neue Zielgruppen ansprechen. Mädchen und Frauen sind ein ganz großer Teil davon. Im Schnitt liegt der Frauenanteil im Informatikstudium in Deutschland so bei 20% und warum das genau so ist wissen wir alle nicht. Das ist auch bei vielen anderen technischen Studiengängen so, aber ich glaube es ist so, dass die Informatik dieses sehr mathematische, sehr trockene Bild vermittelt. Es kann und soll ganz anders sein. In der Praxis ist es einerseits ein Teamsport und andererseits etwas furchtbar kreatives. Als wir uns mit dem Thema mehr auseinander gesetzt haben, warum sind da so wenige Mädchen, ist es leider so, dass Mädchen bereits in der Jugend weniger mit dem Thema, mit dem Computer in Verbindung geraten und dann wenn es soweit ist, dass sie sich für ein Studium entscheiden sollen, sie das Gefühl haben ich bin doch schon viel zu weit hinten. Die Jungs haben mehr Ahnung davon als ich, und dann fühlen sie sich eingeschüchtert. Das sind alles Probleme, die wir löschen wollen. Gerade bei Schülern, ich glaube man kann gar nicht früh genug anfangen. Ich sage mal wie viele Eltern ihre Kinder zum Klavier und Ballett-Unterricht schicken, warum nicht auch einmal die Woche zum Computer oder Programmierunterricht? Eine Herausforderung ist natürlich, dass es noch viel zu wenige Angebote gibt in diesem Bereich. Was wir beispielsweise machen wollen, gerade für Jugendliche ab 15 Jahren, wir machen in den Herbstferien hier in Köln ein großes Programmiercamp, das Codecamp. Da wollen wir ganz neue Akzente setzen, neue Zielgruppen ansprechen und den Kids zeigen, das ist echt was verdammt cooles und nicht mit den Clichés behaftet die man oft im Kopf hat.
Richard Gutjahr: So Camps gibt es in Deutschland, meistens eher in Berlin. Hamburg investiert sehr viel in die Startupszene, wie schätzt Du hier Köln ein?
Thomas Bachem: Also man muss leider schon sagen, dass Köln wenn man das mit Berlin, Hamburg und München vergleicht, dann sind wir schon hintendran. Das ist uns aber auch klar glaube ich. Das ist leider dieser unglaublichen Herausforderung gewidmet, der sich auch Tobias widmet, dass NRW ein Flächenland ist. Wir sehen ganz generell, nicht nur den Trend zur Urbanisierung, sondern vielleicht auch den Trend zur Metropolisierung und zumindest in der Startupszene ist es auch einfach sehr beliebt in Großstädten zu leben. Davon haben wir in NRW viele, aber die sind sehr verteilt. Wenn man NRW zusammenlegen würde, die ganzen Startups und innovativen Projekte die wir haben, dann können wir auch locker mit den anderen mithalten, aber jede Stadt einzeln nicht so. Das macht es im Moment sehr schwer.
Richard Gutjahr: Könntest Du dir vorstellen, dass man Programmieren im Lehrplan verankert, z.B. als 2. oder 3. Fremdsprache? Statt Latein?
Thomas Bachem: Ja absolut. Also ich hab selbst Latein damals nicht gemacht, deswegen muss ich hier aufpassen. Da muss man immer ganz vorsichtig sein, wenn man etwas streichen will. Ich stell auch in Frage ob Religionsunterricht in die Schule gehört, also man sagt bei ganz vielen Themen immer naja das ist halt Aufgabe des Elternhauses. Solche Sachen können dann durchaus auch Aufgabe des Elternhauses sein, denke ich mir da. Ich finde es sehr schwer zu sagen, was rein gehört und was nicht. Aber was ich sehr ernüchternd finde, dass durch das föderalistische System jede Schule etwas anders ist, aber ich hatte auch kein Fach Technik in der Schule. Jetzt sagen wir mal Deutschland ist das Land der Ingenieure und Maschinenbauer, wo wird das an der Schule gelehrt. In der Schule wird auch da die Grundlage gelehrt, die Physik, die Mathematik, die Chemie und so weiter. Aber das was doch wirklich spannend ist und auch junge Menschen unglaublich motivieren kann, ist die Arbeit an realen Projekten. Ich fände es viel spannender wenn man ein Fach Technik hat und einen Robotor baut und dann wird das sowohl mathematisch, als auch physikalisch als auch aus dem Programmierblickwinkel betrachtet. Aber selbst dieses Fach Technik, das wir seit Jahrzehnten haben sollten haben wir fast nie. Deswegen hab ich manchmal die Befürchtung, das wird auch mit dem Fach Softwareentwicklung, Coding auch noch lange dauern.
Richard Gutjahr: Was hat es mit diesem pinken Stand zu tun?
Kanika Kaltenberg: Mein Geschäftspartner und ich haben entdeckt, dass die Mobilität im Eventbereich fehlt, gerade was Süßigkeiten angeht. Dann haben wir eine Idee entwickelt, wie man auf eine moderne Art und weiße Süßigkeiten oder überhaupt Marketingstrategien an den Mann bringen kann.
Richard Gutjahr: Also ihr hattet dann vor zwei Jahren eine Idee, und habt gesagt wir müssen den Süßigkeitenmarkt revolutionieren? So muss man immer reden wenn man ein Startup gründet oder? Du sagst, Du bist eine Mischung aus Startup und Gründerin, was meinst Du was ist der Startup Teil an dir?
Kanika Kaltenberg: Wir haben das Unternehmen nicht gegründet um irgendwas zu gründen, sondern wirklich, dass wir die Idee hatten und diese nach vorne bringen wollten. Das ist unser Startupgedanke.
Richard Gutjahr: Das ist wie Thomas gesagt hat, dass nicht im Vordergrund ist, dass man ein Multimilliarden-Dollar Konzern werden will, sondern, dass man sagt, warum gibt es das eigentlich noch nicht? Lass es uns doch tun, also mehr machen als reden?
Prof. Tobias Kollmann: Ja. Mit Gedanken alleine hat man noch nie ein Fenster eingeschlagen und das Machen ist hier im Vordergrund. Das ist auch was ich meinen Studenten immer sage, wir können uns über noch so viele Zusammenhänge hier unterhalten, am Ende des Tages geht es um das Machen. Und das ist übrigens nicht nur etwas, das man vom Wissen her lernen kann sondern auch ein Stück Mut haben muss um das zu tun. Von daher bewundere ich jeden, der diesen Schritt geht und mit einem Startup etwas bewegt.
Richard Gutjahr: Ihr wart dann auch so mutig, dass ihr mit eurer Idee ins Fernsehen gegangen seid. Da gibt es eine Sendung die Höhle der Löwen, bei VOX läuft die und da habt ihr gepitched. Wie war es denn so?
Kanika Kaltenberg: Das war natürlich total aufregend, wir hatten diese Situation vorher noch nicht, dass wir uns vor jemandem Präsentieren mussten oder überhaupt Rechtfertigen mussten, wer wir sind, was wir machen und warum wir das machen. Wir waren interessiert, wir waren in der ersten Staffel in der ersten Folge, wir hatten noch gar keine Erfahrungswerte wie die Sendung ankommen wird, ob man nachher nett geschnitten wird. Da waren wir froh dabei sein zu dürfen.
Richard Gutjahr: Und ihr hattet ein Ziel, ihr wart noch ganz jung und wolltet Geld kann man so sagen Gründungskapital. 50.000 Euro waren das und die habt ihr aber nicht bekommen, warum?
Kanika Kaltenberg: Ja, wir haben uns glaube ich gut präsentiert und alle waren zufrieden mit uns und alle haben gesagt, dass es ein tolles Unternehmen ist, aber dass wir es alleine schaffen. Da muss nicht unbedingt ein Investor dahinter sein, sondern dass wir uns das lieber abarbeiten und danach lieber eigene Entscheidungen treffen sollen, weil vielleicht auch nicht jeder Investor immer nur mit pink leben kann z.B. und wir aber ganz gut.
Richard Gutjahr: Und ihr habt das im Nachhinein gar nicht bereut, weil jetzt nicht so viele mitreden jetzt wo ihr eigenständig wachst.
Kanika Kaltenberg: Ja das ist natürlich ein Vorteil für uns, dass wir uns dann nur zu zweit auseinandersetzen müssen.
Richard Gutjahr: Am Anfang hast Du gesagt ging das noch sehr hemdsärmelig los. Beschreibe uns die Situation, ihr hattet im Prinzip ein bisschen Erspartes und mittlerweile habt ihr Mitarbeiter. Wie ging das wirklich los?
Kanika Kaltenberg: In der Sendung sind wir wirklich noch mit selbstgeschneiderten Kostümen gewesen, die selbst angemalt waren und Trollies. Das haben wir alles mittlerweile ausgetauscht gegen Designerkleider, die wir mit Designern in Deutschland entworfen und produzieren haben lassen, ebenso die Trollies, die sind jetzt hochwertig, die kommen hier aus Deutschland aus einer Fabrik. Die handgemachten Bonbons, vorher haben wir nur mit Haribos gearbeitet, da haben wir uns immer noch ein Stück weiter verbessert und daran merke ich total unseren Erfolg.
Richard Gutjahr: Heute habt ihr eine Handvoll Mitarbeiter, was sind die Pläne jetzt? Ihr wollt Catering mit Süßigkeiten ausbauen und irgendwann mal was erreichen?
Kanika Kaltenberg: Wir haben nicht wirklich einen Plan, sondern wir schauen ganz gerne was der nächste Tag bringt. Wir denken natürlich auch Think-Big und planen groß, wollen weiter wachsen und uns vergrößern.
Richard Gutjahr: Im Grunde ist das auch ein Traum. Ich denke auch im Wirtschaftsministerium will man nur anstoßen und möchte Arbeitsplätze schaffen. Ist das auch ein Ziel von euch, dass ihr stimulieren wollt aber nicht auf Dauer subventionieren wollt?
Prof. Tobias Kollmann: Ich denke pure Subvention ist auf Dauer nie ein gutes Mittel und deswegen ist es genau das, dass wir eher Starthilfe leisten wollen, damit sich möglichst viel entwickelt. Aber es muss auch wettbewerbsfähig sein, und das ist glaube ich auch für ein Startup ganz wichtig, als Feedback, dass man am Markt nachfragt was produziert wird. Ich denke ferner, dass es ein sehr gutes Beispiel ist vielleicht nicht nur in den ganz großen Unternehmen zu denken, die ganz viel machen aber unheimlich viele scheitern auch auf dem Weg dahin. Vielleicht sind hundert bodenständige Startups, die auf Dauer eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigen können auch ein gutes Ziel, das wir in NRW gut gebrauchen können. Ich spreche hier immer gerne von der ehrlichen digitalen Maloche im Westen der Republik und ich hab dann lieber weniger Sterbequote und dafür fantastische Gründer, die auf Dauer etwas bewegen. Weil das ist wichtig. Machen wir uns nichts vor, es gibt Prognosen, dass die Digitalisierung sehr viele Arbeitsplätze vernichten wird aber auch viele neue Arbeitsplätze schaffen wird. Diese werden insbesondere in neuen Feldern geschaffen und deswegen müssen wir diese auch im Auge behalten.
Richard Gutjahr: Wir brauchen also einen gesunden Mittelstand? Also nicht nur Facebooks und Googles. Das ist vielleicht auch vergleichbar mit der Automobilindustrie, dass man sagt, wir brauchen auch Zulieferer?
Prof. Tobias Kollmann: Ja, genau so ist es. Das ist eine Mischung, wir brauchen auf der einen Seite große Leuchttürme. Die haben wir auch, wenn ich mal an Trivago denke, das ist einer der größten digitalen Player hier in NRW, aber wir brauchen eben auch das Grundrauschen an einem digitalen Mittelstand, was in der Breite eine solide Grundsubstanz bringt und damit auch robust ist. Weil wenn ein Großer z.B. weggekauft wird und verlagert wird – das soll durchaus vorkommen in dieser Branche – dann haben wir eben vielleicht nicht das Ziel erreicht. Daher ist es wichtig, dass wir eben auch gerade in diesen Strukturen glänzen.
Richard Gutjahr: Kanika wir haben schon über das Thema Geschlechterverteilung gesprochen. Hast Du eine Erklärung dafür, dass Frauen das Thema nicht so sexy finden zu gründen?
Kanika Kaltenberg: Das glaube ich gar nicht, ich glaube viele Frauen gründen ziemlich gut und haben Spaß daran. Weil gerade durch neue Medien ist es so einfach geworden etwas zu gründen, etwas das einen interessiert. Und es gibt wirklich viele Anlaufstellen mittlerweile.
Richard Gutjahr: Also die Coderin bist Du auch nicht gewesen, das heißt wir bewegen uns auch noch klassisch. Ihr macht Catering, auch bei Reisen oder Marketing trifft man viele Gründerinnen an. Aber richtiges coden, bei den Entwicklern gilt 80-20 ich kenne sogar 90-10, da haben Frauen noch Berührungsängste. Was müsste denn geschehen, dass Frauen sagen ich kann coden? Was hat dich abgeschreckt? War das so wie Thomas gesagt hat, dass es zu technisch zu abstrakt ist?
Kanika Kaltenberg: Da bin ich wirklich die falsche Ansprechpartnerin, weil ich keine Ahnung davon habe. Es müsste vermutlich vereinfacht werden, dass schönere Bilder drin sind.
Richard Gutjahr: Apple will jetzt coden an die Schulen bringen in der USA und hat sogar eine eigene Plattform geschaffen, dass sogar schon Kinder, Vorschulkinder anfangen zu coden. Mir ist aufgefallen, dass in der USA ein Krieg der Talente im Gange ist. Das heißt dort weiß man gute Coder sind teuer, man lockt diese zu sich mit Annehmlichkeiten. Da haben wir in Deutschland noch eine Menge Bedarf oder?
Prof. Tobias Kollmann: Ja, aber es gibt erste Zeichen. Die Kultusministerkonferenz hat jetzt gerade entschieden, dass das Thema Programmieren neben Lesen, Rechnen und Schreiben zu den vier Grundkulturen an den Schulen werden soll. Von daher ist das erkannt worden. Ich finde das sehr bemerkenswert, damit ist das noch nicht umgesetzt, aber es ist zumindest schon mal erkannt worden. Es gibt natürlich wenn man über Lehrpläne diskutiert ganz viele unterschiedliche Ansichten, von einem allgemeineren Fach Digitalkunde in der Grundschule was nicht nur Programmieren beinhaltet sondern auch dem gesellschaftlichen Verständnis was dort passiert, also etwas allgemeiner, breiter angelegt ist. Bis hin zu Programmierung als 2. Fremdsprache neben einem vielleicht fortgeführten Fach Digitalkunde oder Informatik um die Kompetenzen zu vertiefen, bis hin zu den Hochschulen wo es dann eben mit Spezialaktivitäten wie Thomas Bachem eben erzählt hat, es spezielle Programmierhochschulen gibt, aber wo auch das Thema digitale Wirtschaft eingebettet wird in die MINT-Fächer, Wirtschaftsinformatik, Informatik, BWL an der Schnittstelle, einschließlich der Entwicklung von Startups und Innovationen. Es gibt unglaublich viele Ansätze und der nächste IT Gipfel auch bei uns im Land wird dieses Thema haben, weil die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Bildung so unglaublich wichtig ist. Auch wir in NRW versuchen eine ganze Menge Impulse zu setzen.
Richard Gutjahr: Was ihr auf die Beine stellt ist sehr klassisch, eher analog. Wie wichtig ist da Vertrieb, Internet, überlegt ihr ob ihr da auch einen Shop aufmacht oder ist das alles nur Akquise damit man euch erstmals findet wenn man euch googled?
Kanika Kaltenberg: Ziel ist natürlich das alles auch zu digitalisieren und einen Onlineshop zu haben, aber momentan arbeiten wir noch nicht so.
Richard Gutjahr: Das ist eine interessante Geschichte, muss ich jetzt nur noch digital sein? Oder aber gibt es auch eine Renaissance, manche Dinge möchte ich tatsächlich sehr haptisch an Ort und Stelle, eine persönliche Erfahrung machen? Damit arbeitet ihr sehr stark im Eventbereich. Schließt das eine das andere aus?
Prof. Tobias Kollmann: Das kommt auf das Geschäftsmodell an, ich würde da gar nicht so Pauschalisieren, dass nur das eine oder nur das andere zum Erfolg führt. Es kommt schlicht und ergreifend darauf an, wo sind die Kunden, wie erreiche ich sie, was ist das Produkt, hab ich einen digitalen Anteil oder nicht? Da gibt es so viele verschiedene Varianten, man sollte vielleicht beides im Auge behalten und schauen in wie weit die beiden Welten am Besten kooperieren können, sei es im Marketing, sei es im Vertrieb auch wenn es sich um reale Produkte dreht. Bestmöglich geht es Hand in Hand, aber das alles 100% auf der einen Seite oder anderen Seite entscheidet der Einzelfall.
Richard Gutjahr: Glaubst Du Snapchat bietet Möglichkeiten das geschäftlich zu verbinden?
Kanika Kaltenberg: Auf jeden Fall. Wir sind definitiv für so etwas gemacht worden, unsere Mädels und Jungs sehen einfach immer so hübsch aus, dass man sich auch gerne die Snaps anschaut, wenn jetzt Candy z.B. ein eigenes Profil hätte in dem sie zeigt was sie tagtäglich macht. Ob es jetzt Bonbons verpacken, Bonbons selber machen oder verteilen ist. Das ist für uns eine super Möglichkeit.
Richard Gutjahr: Wir wollten uns fragen sind Startups nur ein Strohfeuer oder kann das Tatsächlich sogar eine Säule, eine tragende Säule in der Zukunft für den Mittelstand hier in NRW sein? Jemand der beide Sprachen spricht, nämlich sowohl die digitale als auch die analoge ist Christoph Baier mit zwei Initiativen founderio und Ambi-Vation. Beschreib uns kurz was das ist und was ihr da macht?
Christoph Baier: Bei founderio bringen wir Gründer mit einer Softwarelösung mit etablierten Unternehmen zusammen und helfen zudem dabei ihr Team zu finden. Denn das Team finden ist für Startups immer das erste Problem. Mit Ambi-Vation konzentrieren wir uns auf die zweite Sprache auf die etablierten Unternehmen und schauen wie können diese mit Startups zusammenarbeiten, mit wem, worauf müssen sie achten?
Richard Gutjahr: Das heißt ihr seid so eine Art Heiratsmarkt, Tinder für Unternehmen?
Christoph Baier: Die Parship Metapher, die wir gehört haben, mag ich lieber.
Richard Gutjahr: Es gibt zwei verschiedene Sprachen, haben wir schon gehört, die klassischen Unternehmer die schon Erkenntnis haben aber noch nicht wissen wie sie es umsetzen wollen und umgekehrt die Coder die sprechen sowieso ihre eigene Sprache. Wie schafft ihr es die so zu synchronisieren, dass die auf eine Ebene kommen?
Christoph Baier: Das ist eine der größten Herausforderungen um das Potential eben auch zu heben. Es fängt damit an, dass es zwei unterschiedliche Sprachen sind. Tobias meinte gerade schon die Superlativen bei Startups die oft fallen. Der konservative Mittelständler kann vielleicht nicht soviel anfangen mit disruptive, innovative, neues Geschäftsmodell und Businessmodel. Andererseits hat vielleicht auch das Startup Schwierigkeiten mit Controlling und anderen Themen die der Mittelstand eher im Fokus hat umzugehen. Was wir zum Beispiel machen, einer der ersten Schritte wenn wir mit Unternehmen arbeiten, ist ein Vokabeln lernen, hier ist das Vokabelheft. Meistens fangen wir mit einer Motivation an und dann kommt die Schule. Umgekehrt ist das ähnlich, die Unternehmen haben dann auch die Herausforderung zu sagen, was ist denn eigentlich unser Vokabular hier am Standort, was verwenden wir da? Wir unterstützen beispielsweise auch dabei, dass sie eine Sprache verwenden, welche die Startups besser verstehen, oder dass sie den Startup dann eben erklären wie ihr Vokabular aussieht. Emojis sind eine Idee für die Zukunft. Wenn beide Seiten das Vokabular des anderen verstehen, dann kann man auch kommunizieren und weiß was der andere möchte. Da ist natürlich die Sprache auch nur das eine, aber auch die Kultur und das Verständnis füreinander ist eben sehr wichtig. Beispielsweise ist ein Startup in der Regel auf der Suche nach einem Geschäftsmodel – sonst ist es per Definition eigentlich schon auf dem Weg ein junges Unternehmen oder ein Mittelständler zu werden – und diese Suche nach einem Geschäftsmodel ist eine ganz andere Aufgabe als die Nutzung eines Geschäftsmodells wie es die Aufgabe eines etablierten Unternehmens ist. Beispielsweise muss es erlaubt sein – im begrenzten Rahmen – Fehler zuzulassen. Das ist etwas wo Mittelständler anecken. Da ist es auch eine Kommunikationssache zu sagen, ok es geht hier um ein neues Geschäftsmodel, da muss ich Fehler zulassen. Wenn ich das Geschäftsmodel gefunden habe, kann ich immer noch perfektionieren und die Fehler rausschleifen, aber nicht am Anfang.
Richard Gutjahr: Da höre ich natürlich auch gleich den Mittelständler oder jemanden, der schon Verantwortung gegenüber Mitarbeitern hat und sagt schön ihr könnt da experimentieren und das in die Luft jagen, aber bei mir sind da 50 Leute auf der Straße. Wie schafft man es denen diese Ängste zu nehmen?
Christoph Baier: Das ist eine schwierige Sache. Was man oft macht, dass man einen begrenzten Raum schafft, in dem eine solche Zusammenarbeit möglich ist. Da kommt es dann zum Beispiel auf die Kooperationsform an. In der Regel wird ein Startup, das in der frühen Phase ist nicht direkt in den Prozess des Mittelständlers integriert werden, sondern man fängt z.B. ein Forschungsprojekt an in dem man gemeinsam eine neue Technologie erforscht. Aber das ist auch oft der einzige Weg solche Potentiale zu heben. Letzte Woche war in Berlin ein Event zum Thema 3D-Druck, da ist beispielsweise die Aussage gefallen, dass sich die Technologie um 100% pro Jahr weiterentwickelt. Das ist natürlich schwierig, wenn ich als Mittelständler die Technologie nicht nutze, dann bekomme ich gar nicht mit, wie sich die Technologie entwickelt. Dann entscheide ich heute vielleicht, Startups und die Technologie das lass ich lieber. Da gab es ein schönes Beispiel, da hat ein Startup einen 3D gedruckten Stuhl mitgebracht. Der Mittelständler packt den Stuhl an, rüttelt dran, der Stuhl bricht. Das war natürlich ein ganz schlechter Moment in der Situation. Da muss man eben auch das Verständnis schärfen, dass es um eine neue Technologie geht, die sich sehr schnell entwickelt. 1-2 Jahre später kann man dann vielleicht schon Metall, und andere Materialien verarbeiten, die dann auf einmal super günstig sind, aber vielleicht hat der Mittelständler dann gesagt, das hab ich doch schon vor zwei Jahren gesehen, und das mit Startups die machen so schlechte Qualität, meine Kunden die wollen doch Qualität. Da ist es eine wichtige Sache zwischen den beiden zu vermitteln, dass beide verstehen, was bedeutet Startup, was bedeutet Mittelständler.
Richard Gutjahr: Viele erfolgreiche Unternehmen haben das Problem, dass sie nicht zwei Betriebe gleichzeitig fahren können. Sie können nicht die Maschinen still legen um mit 3D Druckern zu experimentieren. Mit dem einen verdienen sie noch ihr Geld und mit dem anderen verdienen sie noch kein Geld. Ich wüsste sofort wo ich mein Geld investieren würde, nämlich in das was aktuell funktioniert. Trotzdem wenn man zu spät anfängt zu innovieren, dann verpasst man den Einstieg?
Prof. Tobias Kollmann: Am Ende des Tages brauchen wir Unternehmen mit zwei Geschwindigkeiten und auch zwei Themenfeldern. Wir müssen den Digitalisierungsthemen in klassischen Unternehmen den Raum schaffen um auch beispielsweise mit Startups zu experimentieren als ausgelagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Denn genau so muss man Startups sehen, weil das ist der bestmögliche Bereich in dem man auch einem klassischen CFO deutlich machen kann, du investierst hier sowieso in die Innovationsentwicklung, mach es doch im Digitalbereich gemeinsam mit Startups und du weißt, dass bei deinen eigenen F&E Entwicklungen nicht alles funktioniert. Es ist auch immer eine Frage des Aufhängens. Eine Frage wo im Unternehmen so ein Wandel stattfindet. Viele Unternehmen gründen Digitalunits außerhalb eines Unternehmens um nicht den klassischen Betrieb davon zu beinträchtigen. Auch da gibt es ganz viele Formen, entscheidend ist, dass man das Thema aufnimmt und sich dieser Herausforderung stellt und es einfach mal ausprobiert. Und da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, diese alte Mentalität, erst mal von 10 Alternativen im Vorfeld ganz sicher zu gehen, welches dann ist, das dauert einfach zu lange. Und die Startup Mentalität einfach alle 10 auszuprobieren ist natürlich für viele auch ein kultureller Wandel und genau das ist auch etwas wo jeder Unternehmer für sich entscheiden muss, wie schaffe ich den kulturellen Wandel. Schaffe ich den sozusagen im etablierten System, schaffe ich ihn parallel, schaffe ich ihn in neuen Abteilungen, mit Auslagerung?
Richard Gutjahr: Da könnt ihr beraten, könnt ihr helfen, könnt ihr externes Knowhow auch in die Unternehmen holen, dass auch ein kaputter Stuhl vielleicht am Ende was gebracht hat. Weil man diesen Erkenntnisgewinn, dieses Knowhow sich antrainiert hat, zu einer Zeit in der man sich leisten konnte, ab und zu mal was zu zerhauen.
Prof. Tobias Kollmann: Ich finde das übrigens ein schönes Bild mit dem kaputten Stuhl. Das ist nämlich auch der Zusammenbruch des neuen Marktes gewesen, da haben alle gesagt, genau deswegen funktioniert es nicht und wir brauchen uns nicht damit zu befassen und haben uns deswegen in den Dornröschenschlaf zurückgezogen. Das war genau das falsche. Wer nur an diesem Ereignis des zerbrochenen Stuhles die Digitalisierung festmacht, das ist genauso lachhaft wie die Vorstände, die ihre Krawatten ausziehen und meinen sie seien digital. Wir müssen mal trennen von solchen Symboliken oder Ereignissen und schauen und sagen, was mittel- und langfristig auf uns zukommt und dann ist das bestenfalls eine Zwischenlösung.
Richard Gutjahr: Christoph, jetzt sagen viele auch Mittelständler, wir haben ne hausinterne IT. Die machen das schon. Du sagst, Startups ticken und denken etwas anders und davon könntet ihr auch profitieren. Was können Externe in ein etabliertes Unternehmen reinbringen, was die wahrscheinlich so nicht aus sich heraus schaffen?
Christoph Baier: IT ist ein Thema, auch in der Forschung ist es sehr spannend. Man muss sehen für welche Aufgaben Startups geschaffen sind. Wenn es darum geht einen gewissen Prozess zu perfektionieren ist ein Startup möglicherweise nicht der richtige Ansprechpartner. Wenn es aber darum geht eine neue Technologie zu nutzen, die in der Zukunft viel stärker und leistungsfähiger wird, in der Zukunft vielleicht die dominante Technologie wird, so was könnte ich mir sehr spannend vorstellen. Dort kann ein Startup seine Stärken ausspielen im Sinne der Geschwindigkeit, der Innovationskraft, auch kulturell, dass das etablierte Unternehmen vom Startup lernen kann. Was für Methoden gibt es da, wie kann ich Innovation machen? Im Mittelstand habe ich das Gefühl, dass ein starker Fokus auf das bestehende Geschäftsmodel liegt, im Innovationsmanagement gibt es zwei Hände, man spricht von einer Beidhändigkeit. Während die eine Hand sich darum kümmert das bestehende Geschäftsmodel zu entwickeln, auszuschlachten, zu perfektionieren, 1% schneller besser etc. sollte es für ein nachhaltig erfolgreiches Unternehmen eine zweite Hand geben, die sagt wir entwickeln Innovationen in Themenfeldern der Zukunft. Weil am Ende des Tages, wenn ich das perfektioniere, irgendwann ist die Technologie am Limit und wird die Technologie in ihrer Bedeutung sinken, dann kann ich vielleicht noch Marktanteile gewinnen aber irgendwann ist auch das vorbei und dann kommt die neue Technologie. Das bedeutet in der bestehenden Technologie werden Arbeitsplätze, Beschäftigung abgebaut und in der neuen Technologie aufgebaut. Wenn es dann natürlich in Deutschland keine Startups gibt oder keine Unternehmen gibt die in neuen Technologien arbeiten entsteht die Beschäftigung woanders. Das heißt auch gesellschaftlich ist es super wichtig, dass die Zusammenarbeit von etablierten Unternehmen und Startups, vor allem B2B Startups passiert.
Prof. Tobias Kollmann: Umso erschreckender muss man sagen, wenn man sich die Studien anschaut, warum Mittelstand und Industrie sich dem Thema Digitalisierung nicht stellen. Als Top Antwort kommt die Verteidigung der bisherigen Strukturen. Und die zweite Antwort ist sie haben keine Zeit. Bei diesen beiden Antworten wird mir echt schlecht. Und das kann nicht die Antwort sein, und genau deswegen ist es auch ein Thema, weil natürlich etablierte Manager egal wo sie wie agieren Angst haben um die kurzfristigen Effekte für ihren eigenen Erfolg und ihre Entlohnung eine Rolle spielen. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit Startups auch so spannend, weil man in der Kooperation eben auch Dinge ausprobieren kann in Kooperation ohne den eigenen Markennamen direkt zu beschädigen und vielleicht in solche Szenarien reinzukommen, dass man als Manager vielleicht als erfolglos bezeichnet wird. Über solche Kooperationsansätze kann man eine ganze Menge bewegen.
Richard Gutjahr: Ich nehme mit, experimentieren so lange das Geschäft noch läuft, aber auf einem geschützten Terrain und sich ein paar neue Ideen, aber auch Köpfe und Startups sich an Board holen.
Publikumsfrage: Wie lange brauche ich um Programmieren zu lernen? Welche Sprachen kann man lernen und womit kann man sinnvollerweise anfangen?
Christoph Baier: Als Wirtschaftsinformatiker kann ich ein bisschen was dazu sagen, Thomas ist da aber sicher der bessere Ansprechpartner. Es kommt darauf an wie gut man sein möchte, aber ich denke nach einem halben Jahr hat man erste Erfolgserlebnisse und kann erste Dinge selbst machen. Der klassische Einstieg ist im Html-Bereich, das ist gar keine Programmiersprache, da kann man sehr einfach starten und hat nach einem Tag bereits erste Erfolgserlebnisse und kann Webseiten gestalten. Dann gibt es unterschiedliche Sprachen, an der Universität ist Java sehr beliebt, in der Praxis ist bspw. Ruby Rails oder PHP auch beliebt.
Richard Gutjahr: Python habe ich heute gelernt. Aus meiner eigenen Erfahrung als Journalist kann ich berichten, ich habe heute meinen Coding Kurs für Sie verlassen. Heute war erster Tag in Hamburg, ich habe angefangen, heute war mein erster Schultag, ich habe Coden gelernt für Beginner, für Journalisten. Ich fliege auch morgen mit der ersten Maschine zurück und morgen geht’s weiter. Liebe Kollegen ich komme morgen wieder und schreibe meine Hausaufgaben beim Nachbarn ab. Es ist glaube ich für niemanden falsch, sich diese Denke anzutrainieren, zu verstehen wie es funktioniert. Man muss nicht der perfekte Coder werden, das ist gar nicht so das Hauptziel, aber dass man sich die Systematik dieser neuen digitalen Welt zumindest besser vorstellen kann. Nicht jeder muss einen Stuhl drucken können, ich möchte zumindest nicht auf meinem eigenen sitzen müssen. Beim coden habe ich heute gelernt, 2 Jahre braucht man etwa und dann geht es erst richtig los.
Publikumsfrage: Es geht heute um Startups und wir haben am Anfang gehört, dass es ganz wichtig ist, dass wir den etablierten Mittelstand mit Startups vernetzen um die ausgelagerte Forschungsabteilung zu sein. In dem Kontext fand ich es interessant, dass ein Startup mit einem analogen Geschäftsmodel vorgestellt wird und selbst noch nicht digitalisiert ist. Eine Anregung wäre, dass wir konkret Mittelständler hier her holen und die Erfahrungsberichte bringen, wie haben sie mit Hilfe von Startups ihr Geschäftsmodel digitalisiert, was nachhaltig wirkt? Das kam mir heute etwas zu wenig vor, als Anregung.
Prof. Tobias Kollmann: Vollkommen richtig, ich möchte das sogar noch erweitern. Wir sprechen bei den Pitches immer von Startups zu Investoren darum, dass diese gerne eine Finanzierung haben möchten. Ich würde das gerne mal in eine andere Richtung drehen wollen, nämlich, dass die Startups um einen Auftrag pitchen wollen um darüber eine gemeinsame Plattform hinzubekommen. Ich glaube das ist auch etwas, was man als Basis nehmen kann um zu schauen, was wird denn da eigentlich draus? Vielleicht auch Bestpracices zu entwickeln, die man dann auch wieder präsentieren kann. Ich glaube wir brauchen auch ganz schlicht und ergreifend ganz viele von diesen Beispielen, damit auch andere sich daran orientieren können, wie man das macht. Das ist vielleicht ein anderer Weg.
Christoph Baier: Gerade Geschäftsbeziehungen würde ich unterstützen, diese sind für Startups wirklich das wichtige. Ein Beispiel hier noch für eine solche Zusammenarbeit. Das Startup sofatutor in Berlin arbeitet beispielsweise mit dem Cornelsen Verlag zusammen im Bereich elearning. Wenn man sich überlegt, dass in Südkorea 2016/2018 diskutiert wird, dass die Schulbücher aus dem Alltag verbannt werden, dann muss ich mir auch in Deutschland – vielleicht haben wir 2, 3 oder 5 Jahre mehr Zeit – aber dann muss ich mir als Cornelsen überlegen, was mache ich hier eigentlich, wenn mein Kerngeschäftsmodel Schulbücher sind. Das ist dann sehr spannend, ich denke Cornelsen nutzt das einerseits um sich selbst zu digitalisieren aber andererseits auch um mit dem Startup mitzuwachsen und von der Kultur zu profitieren. Das finde ich ein sehr schönes Beispiel.
Prof. Tobias Kollmann: Da sollten wir vielleicht ganz schnell die Idee nach draußen geben. Spotify für Bücher im Schulbereich. Ein Abo, alle Bücher egal auf welchem Endgerät egal welches für den Unterricht gebraucht wird. Liebe Startups los geht’s.
Publikumsfrage: Das ist eine super Plattform Herr Baier, die sie anbieten. Man hat im Rheinland im Unterschied zu Berlin enorme Industrie die man hier findet. Eine echte Stärke. Sie sagten aber in der Anmoderation, dass es auch so ist, dass sie die Teams zusammenstellen, dazu hätte ich gerne noch etwas mehr gewusst.
Christoph Baier: Vielleicht muss ich hier noch differenzieren, wir stellen nicht die Teams zusammen auf der Plattform, sondern die Nutzer finden sich auf der Webseite selbst. Die Nutzer haben dort die Möglichkeit ihr Profil zu veröffentlichen und dann mit anderen Nutzern zu kommunizieren oder eine Ausschreibung zu veröffentlichen, ich suche einen potentiellen Mitgründer der die und die Fähigkeiten hat und der sich vielleicht auch für mein Thema begeistert. Das hatten wir gerade auch bei Thomas Bachem, dass die Begeisterung für ein Thema auch sehr wichtig ist. Ich glaube die wenigsten Startups – meine Meinung zumindest – werden gegründet allein des Geldes wegen. Die Motivation für das Thema, die Vision ist ein wichtiger Ausgangspunkt.
Marco Zingler von denkwerk: Tobias, ich finde Du hast genau den richtigen Punkt angesprochen. Man könnte mit Startups in Deutschland viel schneller die klassische Industrie digitalisieren wenn es nicht so verheerende Einkaufsregeln gäbe. Das ist nämlich die Wahrheit. Die Einkaufregeln der deutschen Industrie verhindern mit Startups zu arbeiten. Das Risikomanagement ist da so tough, dass man da nicht mit frisch gegründeten Unternehmen arbeiten möchte. Das führt dann auch in die etwas eigenwillige Kultur, dass wir denken man könnte Startups nur gründen, wenn man Venture Capital bekäme, was man nach Zirkusvorstellungen auf Investorenkonferenzen einsammelt. Der beste Weg in Deutschland und so haben wir es in 150 Jahren Industrialisierung gemacht ist doch eigentlich Aufträge zu bekommen, sofort Geld zu verdienen. Der Kernpunkt ist aber, die Industrie braucht gar nicht Startups zu gründen, oder sich selbst das Coden beibringen, man müsste mal mit Startups arbeiten.
Prof. Tobias Kollmann: Genau und deswegen geht der Weg nicht über die Einkaufsabteilung. Das ist ganz klar, weil da nämlich die meisten dran scheitern und teilweise auch das Verständnis von den Einkäufern gar nicht für solche “unsicheren”, nicht flexiblen, vielleicht morgen nicht mehr vorhandenen Anbieter dann auch sein mag. Ich glaube, dass wir das Thema anders positionieren müssen. Wir müssen es einmal über die F&E Entwicklung positionieren und wir müssen es über die in den Unternehmen vorhandenen Innovationsabteilungen und Business Development Abteilungen positionieren. Und wir brauchen dann auch die richtigen Ansprechpartner, die dann auch für die Startups zur Verfügung stehen. Deswegen werden wir auch über DWNRW demnächst ein neues Angebot haben, dass wir den Startups die passenden Ansprechpartner aus Mittelstand und Industrie zur Verfügung stellen, sodass zunächst an den Einkaufsabteilungen vorbei mit den richtigen Leuten gesprochen werden kann. Von unserem Beirat der jungen digitalen Wirtschaft gibt es übrigens auch in Berlin den ganz klaren Hinweis, dass auch die öffentliche Hand bei Auftragsvergaben schauen muss, dass sie Startups nicht per se ausschließen. Und uns wurde zumindest zugesichert, dass über diese Richtlinien auch nachgedacht wird um dieses Tor zu öffnen.
Richard Gutjahr: Öffnen ist ein gutes Stichwort, also dass man Schnittstellen bereitstellt um den Austausch herzustellen und möglich zu machen.
Prof. Tobias Kollmann: Natürlich, wer heute noch meint das Internet allein zu erobern, das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Ich glaube, dass Kooperationsmodelle heute sehr sehr viel stärker im Fokus stehen. Und das ist auch das, was die Startups letztendlich auch machen. Sich gegenseitig vernetzen, schauen wo sind die Win-Win Situationen, hilfst du mir, helfe ich dir, gemeinsam größer zu werden und zu wachsen. Das muss meiner Meinung nach auch eine Kultur sein, die im Mittelstand gilt. Wir müssen uns mal trennen von dieser klassischen horizontalen Deutschland AG. Nur die Großen miteinander und ansonsten lassen wir keinen rein in den Club. Das ist längst zu den Akten gelegt, wir brauchen eine vertikale Struktur von Großen, Mittleren und Kleinen. Gerade in der Digitalisierung geht es hauptsächlich um Geschwindigkeit und die kriegen die großen Tanker nicht hin. Deswegen liegt es schlicht und ergreifend auf der Hand, hier einmal über andere Modelle nachzudenken, das müssen wir den großen durchaus nochmal näher bringen.
Publikumsfrage: Thema Geschwindigkeit ist genau mein Thema. Wenn man sich die verschiedenen Ökosysteme mal global ansieht und die Wachstumsraten miteinander vergleicht, dann müssten wir wenn wir nur annähernd auch die gleichen Raten kommen wollten, richtig viel Gas geben. Meine Frage ist erstens mal wie ist die aktuelle Wachstumsrate und zweitens wie müssten wir eigentlich unsere Struktur, unser Bildungssystem, unser Investitionsverhalten usw. verändern um auch nur annähernd in andere Ligen zu kommen. Weil ich glaube wir wachsen vielleicht ein bisschen und digital wird auch interessanter in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern und Ökosystemen sind wir immer noch was das Wachstum angeht sehr weit abgeschlagen.
Prof. Tobias Kollmann: Das kann ich nur bestätigen, wir laufen nicht vorne Weg sondern hinten her. Und in der Annahme, dass die anderen nicht mehr aufhören zu laufen, müssten wir rein theoretisch doppelt so schnell laufen und das tun wir im Moment nicht, weil wir schlicht und ergreifend viele Rahmenbedingungen noch nicht so gestaltet haben, dass das Thema Digitalisierung wirklich ernsthaft nach vorne kommt. Dann ist das Thema Bildung, ich hatte bereits die ganze Kette aufgezeigt, wo wir tunlichst etwas tun müssen, das ist zum Beispiel das Thema Finanzierung. Wir haben immer noch Faktor 20 weniger Venture Capital als in den Vereinigten Staaten, auch relativ gesehen. Von den ganz großen Veränderung bringenden Strukturveränderungen haben wir im Moment immer noch Respekt. Beispielsweise die Übernahme vom Enterprise Investment Scheme aus Großbritannien, wo sämtliche private Investitionen in junge Unternehmen von der Steuer absetzbar sind. Das tun wir hier nicht, wir sind hier schlicht und ergreifend sehr konservativ unterwegs. Wir haben in der gesamten Kultur nicht gerade das Entrepreneurship Gen, das heißt wir bilden immer nicht nur für das Angestelltenwesen aus, sondern wir haben auch in der Mentalität der Studenten der nächsten Generation viele die nur Angestellte sein wollen. Ganz erschreckende Zahlen auch hier aus NRW, knapp die Hälfte wollen immer noch in den Öffentlichen Dienst. So kommen wir da nicht richtig weiter. Jetzt kann man zwar sagen, das sagt einer der im Öffentlichen Dienst ist, aber ich war schließlich auch mal Gründer. Von daher glaube ich, dass wir da eine ganze Menge an vielen Stellen tun müssen. Und auch da müssen wir uns einmal von verabschieden. Maßnahmen in Deutschland sind am Ende des Tages, global gesehen zu klein, weil Deutschland zu klein ist im digitalen Umfeld. Wir müssten mindestens in Europa denken, weil zwischen den großen Onlineräumen Amerika und Asien nur halbwegs ein europäischer Binnenmarkt eine Relevanz hat. Dafür müssen wir es aber auch schaffen, dass Startups international deutlich schneller Wachsen können. Sie laufen aber im Moment auf die verschiedensten Datenschutzrichtlinien und Rechtsformen für das Gründen von Unternehmen in den einzelnen europäischen Unternehmen hinaus. Das ist alles nicht förderlich und deswegen sind wir im Moment nicht vorne weg, sondern müssen aufpassen, dass wir uns gerade nicht zwischen den Fronten Amerika und Asien aufreiben, sondern hier selbst Flagge zeigen. Im Moment sind die Zahlen noch nicht so. Von den 151 Unicorns die wir weltweit haben, kommen nur 14 aus Europa und nur 4 aus Deutschland, das ist viel zu wenig um da in Zukunft mitspielen zu können. Deswegen haben wir an vielen Ecken und Enden zu arbeiten, nur und das muss ich auch ganz klar sagen, natürlich würden wir gerne einen Fingerschnipp machen und sagen von heute auf morgen ist alles besser, aber das ist leider nicht so. Das ist ein Prozess der ein Stück dauert und wir haben ihn an vielen Stellen angestoßen und sind aber noch lange nicht am Ziel und da müssen wir unsere Anstrengungen deutlich verbessern.
Zum Video (70:29): https://www.youtube.com/watch?v=9gWbMadIG7g
Zum kurzen Video (8:17): https://www.youtube.com/watch?v=Bf4XAaWIQIQ
Über Ambi-Vation
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